Obwohl Ressourcenmanagement auch die Verwaltung von Betriebsmitteln, finanziellen Mitteln, Technologien, Materialien usw. umfassen kann, so meinen die meisten Unternehmen doch ausschließlich die Verwaltung von Arbeitskräften mit diesem Begriff, also personelle Ressourcen. Das liegt vornehmlich daran, dass Arbeitskräfte und Qualifikationen oftmals das größte Nadelöhr in einem Unternehmen sind. Sätze wie „Wir haben nicht ausreichend Ressourcen für diesen Vorgang“, „Die Ressourcen mit den benötigten Qualifikationen sind in diesem Zeitraum nicht verfügbar“, „Eigentlich war [Name der Ressource] diesem Projekt zugeteilt, aber er/sie wurde einem anderen Projekt zugeteilt“ sind in diesem Zusammenhang leider keine Seltenheit.
Die wichtigste Aufgabe des Ressourcenmanagements besteht also darin, sicherzustellen, dass für sämtliche (aktiven) Projekte innerhalb des Portfolios die richtigen Ressourcen mit den richten Qualifikationen zur richtigen Zeit verfügbar sind.
Personelle Ressourcen sind speziell
Anders als materielle Ressourcen, wie Betriebs- oder Finanzmittel, sind personelle Ressourcen nicht rund um die Uhr verfügbar bzw. produktiv. Daraus ergibt sich, dass ein für 10 Tage geplanter Vorgang letztendlich 62 Tage dauert. Wird dies bei der Planung nicht von vornherein miteinbezogen, wird die Ressourcenplanung zwangsläufig scheitern.
Die Arbeitszeit einer Ressource wird im Rahmen des Ressourcenmanagements in Vollzeitäquivalenten (FTE, Full Time Equivalent) angegeben. Dabei entspricht ein Vollzeitäquivalent der Anzahl an Arbeitsstunden, die eine Person in Vollzeit arbeitet. Auf den ersten Blick erscheint diese Definition eindeutig. Das größte Problem dabei besteht jedoch darin, dass jeder eine eigene Vorstellung davon hat, was das genau bedeutet. Die Definition dessen, was ein FTE genau umfasst, variiert oftmals schon innerhalb eines Unternehmens.
Wie viel ist ein Tag Arbeit? Definition eines FTE
Ein Arbeitsjahr besteht in der Regel aus 52 Wochen à 5 Tagen, also insgesamt 260 Arbeitstagen. In Wirklichkeit arbeitet aber niemand 260 Tage pro Jahr.
Zum einen gibt es Arbeitstage, an denen eine Ressource nicht an der Arbeitsstätte ist, wie Feiertage, Urlaubs- oder Krankheitstage. Das bedeutet, die tatsächliche Anzahl an Arbeitstagen pro Jahr hängt maßgeblich davon ab, in welchem Land jemand arbeitet. Gibt man diese Zahl als Prozentsatz der Gesamtarbeitszeit an, spricht man in der Regel vom „Auslastungsgrad“.
Beispiel für die Berechnung des Auslastungsgrads mit 12 Feiertagen, 20 Urlaubstagen und 4 Krankheitstagen:
Gesamtarbeitstage pro Jahr: 52 Wochen x 5 Tage = 260 Tage
Tatsächliche Arbeitstage = 260 Tage – (12 + 20 + 4 Tage) = 224 Tage
Auslastungsgrad: 224 / 260 = 0,86
Zum anderen gibt es Zeiten, zu denen sich eine Ressource zwar an der Arbeitsstätte befindet, aber nicht produktiv arbeitet, wie Kaffee- oder Toilettenpausen, Betriebsfeiern und andere soziale Aktivitäten. Dabei ist der Anteil nicht produktiver Arbeit an der Gesamtarbeitszeit individuell verschieden. Er beträgt mindestens 10 % der Zeit, die sich eine Ressource an der Arbeitsstätte befindet, kann aber weitaus höher liegen, wenn im Unternehmen große strukturelle Änderungen anstehen (z. B. eine Fusion, eine Übernahme oder interne Umstrukturierungen). Diese Zeit wird im Folgenden als nicht produktive Arbeitszeitquote bezeichnet.
Zusätzlich muss die Zeit für Schulungen, Fortbildungen, unternehmensweite Veranstaltungen und Administrationsaufwand (Abteilungsmeetings, personelle und administrative Arbeit usw.) abgezogen werden.
IBerücksichtigt man in obigem Beispiel zusätzlich eine nicht produktive Arbeitszeitquote von 15 %, eine Woche Schulung pro Jahr und 2 Stunden Administrationsaufwand, so ergibt sich folgende Rechnung1:
Nicht produktive Arbeitszeit= (224 Tage x 15) / 100 = 33,6 Tage
Administrationsaufwand = 2 Stunden x 52 Wochen = 104 Stunden = 13 Tage
Insgesamt verfügbare produktive Arbeitszeit = 224 Tage – (33,6 + 5 + 13 Tage) = 172,4 Tage
Produktivitätsfaktor= 172,4 / 224 = 0,77
Wie hoch die tatsächliche Verfügbarkeit in der verbleibenden produktiven Arbeitszeit ist, hängt größtenteils von der Struktur des jeweiligen Unternehmens ab. Bei Unternehmen, in denen Ressourcen nur einem Projekt zugeteilt sind und sich die nicht projektbezogene operative Arbeit auf ein Minimum beschränkt, gibt es zumeist nur wenige Konflikte zwischen projektbezogener und nicht projektbezogener Arbeit, was die Ressourcenplanung wiederum recht unkompliziert macht.
Für Unternehmen, in denen Ressourcen mehreren Projekten gleichzeitig zugeteilt sind oder neben projektbezogener zusätzlich operative Arbeit erledigen müssen, ist die Ressourcenplanung weitaus komplexer. In letzterem Fall gestaltet sich eine effektive Planung sogar noch schwieriger, da operative Arbeit (verrechenbar) bei der Ressourcenplanung oftmals Priorität vor projektbezogener Arbeit hat, welche meist stärker auf Innovation fokussiert ist, und insbesondere Ressourcen mit wichtigen Schlüsselqualifikationen oftmals unvermittelt von Projekten abgezogen werden.
Kalkuliert man in obigem Beispiel zudem 30 % der produktiven Arbeitszeit für funktionsübergreifende Initiativen und 70 % für projektbezogene Arbeit ein und teilt die projektbezogene Arbeit zwischen Projekt A (50 %), Projekt B (35 %) und Projekt C (15 %) auf, so ergibt sich folgende Rechnung:
Arbeitszeit für funktionsübergreifende Initiativen = (172,4 Tage x 30) / 100 = 51,7 Tage
Die Arbeitszeit für die restlichen, projektbezogenen Arbeiten liegt dann bei 172, 4 Tage – 51, 7 Tage = 120, 7 Tage .
Arbeitszeit für Projekt A = (120,7 Tage x 50) / 100 = 60,35 Tage
Arbeitszeit für Projekt B = (120,7 Tage x 35) / 100 = 42,25 Tage
Arbeitszeit für Projekt C = (120,7 Tage x 15) / 100 = 18,10 Tage
Letztendlich sieht das tatsächliche Arbeitsprofil der Ressource eher wie folgt aus:
Wie lange dauert also die Fertigstellung von Vogang X?
Angenommen, der 10-tägige Vorgang ist Teil des oben genannten Projekts B. Wie lange dauert es, bis der Vorgang abgeschlossen ist? Ohne zu überlegen würde man von „2 Wochen“ ausgehen.
Eine Ressource wird aber, wie erläutert, zumeist an mehreren Aufgaben gleichzeitig arbeiten. Angenommen, das Projekt ist linear über das gesamte Jahr verteilt, wie oben dargestellt. Wie lange dauert die Fertigstellung des Vorgangs tatsächlich? Um dies zu definieren, muss man bei der Berechnung der für den Vorgang benötigten Zeit die Zeit berücksichtigen, die für die verschiedenen zuvor identifizierten Faktoren benötigt werden.
Bearbeitungszeit des Vorgangs = 10 / (0,86 x 0,77 x 0,7 x 0,35) = 61,6 Tage = etwas mehr als zwei Monate
Was bedeutet das für das Ressourcenmanagement?
Das Beispiel zeigt, dass es sich beim Vollzeitäquivalent, der wesentlichen Arbeitseinheit im Ressourcenmanagement, um ein hilfreiches, aber nicht perfektes Konzept handelt:
• Das Konzept des Vollzeitäquivalents ist hilfreich, weil die Personalsituation innerhalb eines Unternehmens anhand einer numerischen Einheit abgebildet werden kann. So kann ein Mitarbeiter, der halbtags arbeitet in 0,5 FTE umgerechnet werden. Dies ermöglicht es wiederum dem Ressourcenmanagementteam, Mitarbeiter als Ressourcen zu planen und zu vergleichen.
• Das Vollzeitäquivalent ist jedoch kein perfektes Konzept, weil jeder unter einem Vollzeitäquivalent etwas anderes versteht. Und selbst wenn alle dasselbe darunter verstehen, so ist es schlicht nicht möglich, für alle dieselbe Berechnungsgrundlage für ein FTE heranzuziehen, da die Aufgabenverteilung individuell unterschiedlich ist.
Um die Frage abschließend zu beantworten: Für den 10-tägigen Vorgang benötigt die Ressource 62 Tage, weil der Vorgang nicht das einzige ist, woran die Ressource an ihrem 8-Stunden-Tag arbeitet. Wenn man sämtliche Aufgaben, die eine Ressource zur gleichen Zeit erledigen soll, bei der Berechnung der Zeit für die Fertigstellung berücksichtigt, ist die tatsächliche Zeit, die sie für den Vorgang zur Verfügung hat, sehr viel weniger als das, was man unter einem „Tag Arbeit“ versteht.
¹Als Grundlage dient ein 8-Stunden-Tag.